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Lebensversicherung verkaufen

Lebensversicherung verkaufen? Vorteile, Nachteile und lukrative Alternativen

Rechtsanwalt Raffael Sauer

geprüft von Raffael Sauer
Rechtsanwalt für Verbraucher- und Arbeitsrecht

8. März 2022 um 16:53

Immer mehr Menschen blicken pessimistisch in die Zukunft. Sorgen bereitet den Deutschen nicht nur der Klimawandel, sondern auch drohende Altersarmut. Um sie zu verhindern, haben viele Menschen eine Lebensversicherung als private Vorsorge abgeschlossen. Doch diese gilt inzwischen längst als unrentabel. Viele Versicherte wollen deshalb ihre Lebensversicherung verkaufen – doch lohnt sich das? Und gibt es lukrative Alternativen?

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Schutz durch eine Lebensversicherung, symbolisch dargestellt.
Das Wichtigste in Kürze:
  • Auszahlungen von Lebensversicherungen sinken um bis zu 40%. Rückabwicklungen oder der Verkauf an Policen-Ankäufer sind für Versicherte meist ein finanzielles Minusgeschäft.
  • Viele Lebensversicherungen, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden, enthalten fehlerhafte Widerrufsbelehrungen.
  • Die Folge: Auch Jahre später können Versicherte ihre Lebensversicherung widerrufen.
  • Soforthilfe zu zahlreichen Rechtsfragen erhalten Verbraucher auch im SIEGFRIED CLUB.

59 Prozent der Deutschen fürchten, im Alter finanziell nicht ausreichend abgesichert zu sein – das ist eines der Ergebnisse der jährlichen Ernst & Young-Umfrage zur Verbraucherstimmung in Deutschland. Tatsächlich liegt die gesetzliche Rente laut Medienberichten im Durchschnitt bei unter 1.000 Euro. Die staatliche Absicherung allein reicht für viele Menschen längst nicht mehr aus, um ihren hohen Lebensstandard auch im Alter aufrecht zu erhalten.

Private Altersvorsorge ist heute daher wichtiger denn je. Viele haben schon vor Jahren auf Lebensversicherungen gesetzt, um sich für die Zukunft abzusichern. Renditen im Sinkflug haben jedoch bewirkt, dass viele Verträge heute nicht mehr lukrativ sind. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher wollen deshalb aussteigen und ihre Lebensversicherung verkaufen. Allerdings ist das nur ein Ausweg. Und vielen ist überhaupt nicht klar, wie unrentabel dieser Weg tatsächlich ist.

Die dringendsten Gründe für den Ausstieg aus der Lebensversicherung

Ähnlich wie bei der privaten Krankenversicherung ist der Abschluss einer Lebensversicherung eine langfristige Entscheidung. Versicherte erhoffen sich durch eine langfristige Vertragsbindung eine langanhaltende Sicherheit für ihr Vermögen.

Allerdings bergen jahrelang bestehende Verträge auch Risiken: Bei Abschluss ist die Entwicklung der eigenen Lebensumstände unmöglich absehbar. Nicht nur im Familiären, auch im Beruf oder bei den Finanzen kann sich alles plötzlich ändern. Hinzu kommen äußerliche Umstände wie Finanzkrisen und Pandemien, die komplette Wirtschaftssysteme auf den Kopf stellen können.

Im Fall von Lebensversicherungen haben die anhaltende Niedrigzinspolitik der EZB sowie hohe Provisionen und laufende Gebühren dazu geführt, dass viele Verträge inzwischen ein Verlustgeschäft für Versicherte sind. Experten gehen von 40 % geringeren Auszahlungen aus als zum Abschluss der Versicherungen prognostiziert.

Zusammenfassung wichtiger Gründe für Versicherte, aus ihrer Lebensversicherung auszusteigen:

  1. Die persönlichen Lebensumstände haben sich verändert: Eine Scheidung, der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Corona-Pandemie können zu finanziellen Engpässen führen. Aus dem Verkauf der Lebensversicherung erhoffen sich Betroffene Geld zur Überbrückung der Notlage.
  2. Das Vertrauen in die Lebensversicherung ist beschädigt: Der massenhafte Verkauf von Versicherungsverträgen an „Run-Off-Firmen“ hat zu einem dramatischen Vertrauensverlust bei den Kundinnen und Kunden vieler Versicherungsanbieter geführt.
  3. Es gibt mittlerweile lukrativere Möglichkeiten, Geld anzulegen: Seit dem Versicherungs-Boom in den 1990er Jahren haben sich neue Möglichkeiten der Altersvorsorge etabliert. Immer mehr Menschen setzen zum Beispiel lieber auf Immobilien oder ETFs.

Lebensversicherung verkaufen: Wie funktioniert das?

Wer heute noch eine Lebensversicherung besitzt, steckt damit oft in der „Versicherungsfalle“. Um ihr zu entkommen, können Verbraucherinnen und Verbraucher ihre längst unrentabel gewordene Lebensversicherung verkaufen.

Der Verkauf erfolgt üblicherweise bequem online. Spezialisierte Ankäufer von Lebensversicherungspolicen machen Interessierten ein Angebot und führen die Policen nach dem Verkauf weiter. Sie spekulieren darauf, am Ende der Laufzeit einen Gewinn zu machen.

Lebensversicherung verkaufen: Ja und Nein Symbole auf Boden.

Verkaufen Versicherte ihre Lebensversicherung, treten sie alle Ansprüche aus dem Vertrag an den Käufer ab. Das bedeutet in der Regel auch: Versicherte verzichten auf die in der Lebensversicherung enthaltenen Rentenleistungen und den Hinterbliebenenschutz. Damit profitiert der Käufer der Versicherung von der guten Verzinsung (bei älteren Verträgen), den Überschüssen und dem Schlussbonus.

Bei einigen Anbietern bleiben Verbraucher auch nach dem Verkauf der Versicherungsnehmer. Alle Rechte aus dem Vertrag liegen dann jedoch beim Käufer. Verbraucher erhalten lediglich weiter Mitteilungen ihrer Versicherung, wie beispielsweise über den Stand des Vertragsguthabens.

Welche Lebensversicherungen können Verbraucher verkaufen?

Ankäufer nehmen nicht jede Lebensversicherung. In der Regel muss der Vertrag, den Verbraucher mit ihrer Versicherung geschlossen haben, bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu zählen vor allem diese:

  • Der Vertrag steht nicht kurz vor dem Ende, sondern läuft noch einige Jahre.
  • Der Vertrag weist gute Garantiezinsen auf. Das ist vor allem bei Verträgen vor 2015 der Fall.
  • Der Rückkaufwert des Vertrags erreicht eine bestimmte Summe. Je nach Vertrag kann das beispielsweise 5.000 oder 10.000 Euro sein.
  • Der Versicherer, bei der Verbraucher ihre Lebensversicherung abgeschlossen haben, wird von der deutschen Finanzaufsicht Bafin überwacht.

Erfüllt ein Vertrag diese Voraussetzungen, stehen die Chancen gut, dass ein Käufer die Lebensversicherung übernimmt. Einige Käufer knüpfen einen möglichen Kauf der Versicherung an weitere Kriterien. So kaufen bestimmte Anbieter nur kapitalbildende und keine fondsgebundenen Versicherungen. Und: Einige Anbieter kaufen von kleineren Versicherungen nur einen bestimmten Prozentsatz an Verträgen. Staatliche geförderte Verträge wie Riester und Rürup sowie Lebensversicherungen im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge kauft kein Anbieter.

Wie viel Geld erhalten Verbraucher für den Verkauf ihrer Lebensversicherung?

Wie viel Geld Verbraucher erhalten, wenn sie ihre Lebensversicherung verkaufen, ist von Anbieter zu Anbieter unterschiedlich. Jeder berechnet auf seine eigene Weise, wie viel der Vertrag noch wert ist. Wichtige Kriterien für alle Käufer sind jedoch die veranschlagte Rendite des Vertrags nach Kosten, das Alter des Versicherten und die Überschusssituation des Versicherers.

In der Regel liegt der Kaufpreis über dem Rückkaufwert. Der Rückkaufswert ist der Betrag, den der Lebensversicherer bieten würde, wenn Verbraucher ihren Vertrag kündigen. Der Rückkaufswert ist daher die Summe der bereits eingezahlten Beiträge abzüglich aller angefallener Kosten und einer Stornogebühr. In der Regel können Verbraucher davon ausgehen, dass Ankäufer der Lebensversicherung zwei bis vier Prozent mehr als den Rückkaufswert haben wollen. Das macht Sinn. Denn: Sie führen den Vertrag bis zu seinem Ende fort.

Um das beste Angebot für den Verkauf einer Lebensversicherung zu finden,  sollten Verbraucher mehrere Anbieter anfragen. Genau hinschauen sollten sie bei Angeboten, bei denen der Kaufpreis unter dem von der Versicherung angegebenen Rückkaufswert liegt. Den genauen Rückkaufswert finden sie in der jährlichen Mitteilung zum Vertrag.

Lebensversicherung verkaufen: Schritt für Schritt

Entscheiden sich Verbraucher, ihre Lebensversicherung zu verkaufen, erfolgt das in vier Schritten:

  1. Daten an Anbieter übermitteln
    In einem ersten Schritt tragen Verbraucher ihre Daten in das Online-Formular des Ankäufers ein. Dazu zählen die Kontaktdaten sowie die Angaben zum Vertrag, wie die Versicherungsnummer, der Versicherer, die Vertragslaufzeit und der Rückkaufswert.
  2. Informationsvollmacht erteilen
    In einem zweiten Schritt erteilen Verbraucher dem Anbieter eine Informationsvollmacht. Dieser kann dann die übermittelten Daten prüfen. Verbraucher müssen die Vollmacht unterschreiben und mit der Kopie des Versicherungsscheins an den Anbieter verschicken. Sie erhalten dann ein Angebot des Ankäufers. Einige Anbieter prüfen Verträge nicht nur individuell, sondern haben auch pauschale Angebote in ihrem Portfolio.
  3. Angebot annehmen
    Entscheiden sich Verbraucher, das Angebot anzunehmen, unterschreiben sie in einem dritten Schritt den Kaufvertrag und übersenden diesen zusammen mit dem Originalvertrag der Lebensversicherung an den Anbieter.
  4. Auszahlung des Kaufpreises
    In einem vierten Schritt meldet der Ankäufer dem Versicherer die Abtretung des Vertrags. Verbraucher erhalten dann den Kaufpreis. Der gesamte Vorgang dauert insgesamt rund drei bis acht Wochen. Ist der Verkauf fertig abgewickelt, müssen Verbraucher den Dauerauftrag bei ihrer Bank für die Lebensversicherung beenden.
Gut zu wissen

Wollen Verbraucher den Verkauf ihrer Lebensversicherung absichern, können sie diesen über einen Treuhänder abwickeln. Auf diese Weise stellen sie sicher, dass sie ihr Geld auf jeden Fall erhalten. Dabei stellt der Ankäufer den Kontakt zum Treuhänder her. Der Treuhänder begleitet den Verkauf der Lebensversicherung und gibt den Vertrag erst an den Anbieter weiter, wenn Verbraucher den Kaufpreis erhalten haben. Diese Leistung kostet in der Regel zwischen 125 und 250 Euro.

Lebensversicherung verkaufen: Wie rentabel ist das wirklich?

Der Verkauf der Lebensversicherung bringt für Verbraucher sowohl Vor- als auch Nachteile mit

  • Wer seine Police verkauft, muss keine Beiträge mehr zahlen.
  • Allerdings geht auch der Anspruch auf eine mögliche Rendite verloren.
  • Lediglich ein Teil des prognostizierten Gewinns schlägt sich im Verkaufspreis nieder. Deshalb liegt dieser Betrag im Schnitt nur etwas über dem Rückkaufswert – also dem Betrag, den die Versicherung bei Kündigung des Vertrags auszahlen würde.
  • Die bisher gezahlten und meist sehr hohen Verwaltungskosten für die Lebensversicherung gehen sowohl beim Verkauf als auch bei der Rückabwicklung unwiederbringlich verloren.

Unterm Strich ist jedoch sowohl die Rückabwicklung als auch der Verkauf sind für viele Versicherte ein finanzielles Minusgeschäft. Welche Möglichkeit bleibt dann noch, um aus der Lebensversicherung auszusteigen?

Lebensversicherung verkaufen: Widerruf als lukrative Alternative

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in den vergangenen Jahren die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern mit Lebensversicherungen gestärkt. Eine verbraucherfreundliche Lösung für Versicherte mit unrentablen Verträgen ist daher der „Widerrufsjoker“.

Wer kann die Lebensversicherung widerrufen?

Bei Abschluss einer Lebensversicherung zwischen 1994 und 2007 besteht häufig ein Anspruch auf einen Widerruf der Versicherung per Widerruf. Viele ältere Versicherungsverträge enthalten fehlerhafte Widerrufsbelehrungen. Laut BGH haben Versicherte damit bis heute ein Widerrufsrecht. Verträge vor 1994 sind schwerer zu widerrufen. Denn: Damals galt ein anderes Versicherungsvertragsgesetz. Zwar weisen auch Verträge von vor 1994 Fehler auf, ein Widerruf ist dann aber nur unter anderen Voraussetzungen möglich. Das müssen Verbraucher – im besten Fall mit einem Anwalt - überprüfen.

Wer die Lebensversicherung widerruft, kann vom Versicherungsanbieter alle bereits bezahlten Beiträge zurückfordern. Außerdem muss die Versicherung die Verwaltungskosten übernehmen.

Was sind typische Fehler in der Widerrufsbelehrung?

Ist die Widerrufsbelehrung der Lebensversicherung fehlerhaft, können Verbraucher ihren Vertrag widerrufen. Was sind typische Fehler, auf die Verbraucher achten können?

  1. Keine Widerrufsbelehrung erhalten
    Einige wenige Versicherungen haben vergessen, den Verträgen für die Lebensversicherung eine Widerrufsbelehrung beizufügen. Das sollten Verbraucher prüfen. Haben sie keine Belehrung erhalten, muss die Versicherung beweisen, dass sie die Belehrung verwendet hat. Kann sie das nicht, können Verbraucher ihren Vertrag widerrufen – und müssen die Lebensversicherung nicht unrental verkaufen.
  2. Widerrufsbelehrung ohne Absende-Frist
    Die Widerrufsbelehrung gibt nicht an, dass es ausreicht, den Widerspruch innerhalb von 30 Tagen (14 Tage bei Verträgen, die vor dem 08. Dezember 2004 geschlossen wurden), abzuschicken. Die Frist des Eingangs ist nicht relevant.
  3. Widerrufsbelehrung optisch nicht hervorgehoben
    Damit Verbraucher klar erkennen können, wo sich die Widerrufsbelehrung befindet, muss diese vom übrigen Text optisch hervorgehoben sein. Das ist beispielsweise nicht der Fall, wenn sie ohne Hervorhebung in den Versicherungsbedingungen untergebracht ist. Auf diese Weise verstoßen Versicherungen gegen den Deutlichkeitsgrundsatz. Das entschied der BGH am 24. Februar 2016 (Az. IV ZR 512/14).
  4. Beginn der Widerrufsfrist nicht eindeutig
    Bei vielen Versicherungen ist es gängig, Kunden nicht alle Unterlagen der Police auf einmal zuzuschicken, sondern nacheinander. Verbraucher wissen so oft nicht, wann die Widerrufsfrist beginnt. Fakit ist: Sie beginnt erst, wenn sie die letzten Unterlagen erhalten haben. Weisen Versicherung nicht darauf hin, können Verbraucher ihren Vertrag widerrufen – anstatt die Lebensversicherung zu verkaufen.
  5. Länge der Widerrufsfrist nicht bestimmbar
    In vielen Verträgen finden Verbraucher den Hinweis, dass sie diesen “innerhalb eines Monats” widerrufen können. Monate sind jedoch unterschiedlich lang. Verbraucher können die Frist daher nicht konkret berechnen. Das verstößt gegen den Deutlichkeitsgrundsatz, wie der BGH am 20. Juli 2016 entschied (Az. IV ZR 166/12).
  6. Widerruf nach Kündigung ausgeschlossen
    Einige Versicherungen haben in die Verträge aufgenommen, dass Verbraucher ihren Vertrag nicht widerrufen können, wenn sie die Lebensversicherung bereits gekündigt haben. Das ist nicht zulässig. Ist die Widerrufsbelehrung fehlerhaft, beispielsweise weil sie gegen den Deutlichkeitsgrundsatz verstößt, können Verbraucher ihren Vertrag auch nach einer Kündigung widerrufen. Das entschied der BGH am 07. Mai 2014 (Az. IV ZR 76/119).
  7. Widerrufsbelehrung ohne Hinweis auf Textform
    Weist die Widerrufsbelehrung nur daraufhin, dass Verbraucher ihren Widerruf per Schriftform erklären können, dürfen sie ihren Widerspruch auch per E-Mail versenden. Denn: Für einen schriftlichen Widerspruch muss die Widerrufsbelehrung einen Hinweis auf die Textform haben. Das gilt für alle Verträge, die Verbraucher ab 2002 geschlossen haben (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015, Az. IV ZR 211/14).

Beispiel für Lebensversicherung widerrufen: So rentabel ist es

Ein Verbraucher hat bereits 30.000 Euro an Beiträgen in seine Lebensversicherung eingezahlt. Bei einer Kündigung erhält er, nach Abzug der Verwaltungskosten und der laufenden Gebühren, 20.300 Euro – er macht also 9.700 Euro Verlust. Bei einem Widerruf seines Vertrages erhält er alle bereits gezahlten Beträge ohne Abzug zurück. Das heißt: Er bekommt 34.400 Euro – ein Plus von 14.100 Euro im Vergleich zur Kündigung.

Auszahlung bei Kündigung
Auszahlung bei Widerruf

20.300 €
nach Abzug der Verwaltungskosten und der laufenden Gebühren

Auszahlung bei Widerruf

34.400 €
inklusive aller bereits gezahlten Beträge, ohne Abzug und Verwaltungskosten

Verlust

Auszahlung bei Widerruf

Gewinn

-9.700 EUR

Auszahlung bei Widerruf

+14.100 EUR
im Vergleich zur Kündigung

Lebensversicherung widerrufen statt Lebensversicherung verkaufen: Geht das immer?

Um eine Lebensversicherung nicht zu verkaufen, sondern zu widerrufen, sollte der Vertrag nicht nur einen formalen Fehler aufweisen, der keinen Nachteil für Verbraucher hat. Das kann rechtsmissbräuchlich sein. Das entschied der BGH in einem Urteil vom 10. Februar 2021 (Az. IV ZR 32/20). Seitdem haben sich viele Landgerichte dieser Entscheidung angeschlossen.  Sie geben an: Verbraucher können keine Lebensversicherung aufgrund eines formalen Fehlers widerrufen, wenn der Abschluss lange zurückliegt. Ihre Ansprüche sind mittlerweile verwirkt.

Um nicht auf einen oftmals unrentablen Verkauf der Lebensversicherung angewiesen zu sein, sollten Verbraucher jedoch stets einen Widerruf prüfen. Denn: Ob ihre Ansprüche tatsächlich verwirkt sind, entscheidet der konkrete Einzelfall. Hinzu kommt, dass viele Anwälte die Ansicht des BGH nicht teilen. Sie gehen davon aus, dass Ansprüche auf einen Widerruf nicht verwirken können, wenn ein Formfehler vorliegt. Endgültig beantworten wird diese Frage der EuGH. Das LG Erfurt hat dem EuGH einen entsprechenden Fall vorgelegt (Beschluss vom 13. Januar 2022, Az. 8 O 1463/20). Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, ist bisher nicht absehbar.

Lebensversicherung widerrufen statt Lebensversicherung verkaufen: Bei welchen Versicherungen geht das?

Bei diesen Lebensversicherungsgesellschaften fanden sich bisher Fehler in der Widerrufsbelehrung:

  • AachenMünchener
  • Allianz
  • Axa
  • Cosmos
  • DEVK
  • Ergo
  • Generali
  • HUK-Coburg
  • LVM
  • Nürnberger
  • Postbank Versicherung
  • R+V
  • SDK

Neben diesen deutschen Anbietern wollen auch Verbraucher, die bei internationalen Versicherern Verträge geschlossen haben, ihre Lebensversicherung verkaufen bzw. widerrufen. Oftmals sind auch diese unrentabel. Und: Der Brexit hat Unsicherheiten für Versicherungsnehmer gebracht. So können britische Lebensversicherer Verträge jetzt an europäische Tochtergesellschaften übertragen. Diese sitzen häufig in Ländern, wie beispielsweise Irland oder Luxemburg, in denen ihr Geld nicht mehr insolvenzgeschützt ist. Die gute Nachricht für Verbraucher: Auch ausländische Versicherer haben Fehler in ihren Widerrufsbelehrungen gemacht. Dazu gehören unter anderem diese Anbieter:

  • AtlanticLux
  • Clerical Medical
  • Friends Provident
  • Prisma Life
  • Royal London
  • Standard Life
  • Vorsorge Luxemburg S.A.

Lebensversicherung widerrufen: Wann lohnt sich das?

Ob es sich lohnt, eine Lebensversicherung nicht zu verkaufen, sondern zu widerrufen, hängt vom Einzelfall ab. Diese fünf Leitlinien helfen bei einer Einschätzung:

  1. Jüngere Verträge haben bessere Chancen auf einen Widerruf
    Je jünger ein Vertrag ist, desto bessere Chancen bestehen auf einen Widerruf. Insbesondere Lebensversicherungen, die Verbraucher zwischen 2005 und 2007 abgeschlossen haben, sind häufig widerrufbar. Denn: Die Auszahlung ist nicht mehr steuerfrei. Und: Die Anfangsphase, in der die Abschlusskosten abgezogen wurden, liegt noch nicht zu lange zurück. Das hat zur Folge, dass der aktuelle Wert der Lebensversicherung niedriger ist als die vom Verbraucher eingezahlten Beiträge.
  2. Verträge aus den 90ern sind nur selten widerrufbar
    Enthält eine Widerrufsbelehrung aus den 90er Jahren einen Fehler, ist die Lebensversicherung nur selten widerrufbar. Denn: Diese Verträge haben sich in der Regel trotz der hohen Abschlusskosten vorteilhaft entwickelt. Zudem müssen Verbraucher die Auszahlungen nicht versteuern. Hinzu kommt, dass klassische Kapitallebensversicherungen aus den 90ern im Vergleich zu heute hohe Zinsen erhalten. Verbraucher haben daher keinen Nachteil aus ihrer Versicherung. Ein Widerruf ist daher schwierig. Die Lebensversicherung zu verkaufen kann daher bei Verträgen aus den 90ern die bessere Wahl sein.
  3. Verträge mit niedrigem Risikoanteil haben bessere Chancen auf einen Widerruf
    Viele Verbraucher haben ihre Lebensversicherung mit einem zusätzlichen Versicherungsschutz, wie beispielsweise mit einer Berufsunfähigkeits- oder Unfallschutzversicherung, versehen. Bessere Chancen auf einen Widerruf haben jedoch Verträge, die möglichst wenig zusätzlichen Versicherungsschutz aufweisen. Der Grund ist, dass Versicherungen den Risikoanteil bei einem Widerruf von den eingezahlten Beiträgen abziehen dürfen. Für die Praxis heißt das: Es lohnt sich oft nicht, diese Lebensversicherungen zu widerrufen. Denn dann geht die Zusatzversicherung verloren. Im Falle einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ist diese jedoch besonders wertvoll, da Verbraucher über diese im Versicherungsfall eine monatliche Rente ausgezahlt bekommen. Satt eines Widerrufs lohnt es sich daher mehr, den Beitrag zur Lebensversicherung zu senken.
  4. Riesterverträge müssen genau durchgerechnet werden
    Ob sich der Widerruf einer Riester-Lebensversicherung lohnt, wissen Verbraucher erst, wenn sie ihren Vertrag genau durchgerechnet haben. Dafür müssen sie vor allem die Zulagen und Steuerrückzahlungen abziehen. Auf diese Weise ergibt sich der aktuelle Vertragswert, den sie dann mit den eingezahlten Beiträgen vergleichen können. Ein Verkauf einer Lebensversicherung mit Riester kommt jedoch alternativ nicht infrage. Anbieter haben daran kein Interesse.

Lebensversicherung widerrufen: Schritt für Schritt

Könnte ein Widerruf statt eines Verkaufs der Lebensversicherung infrage kommen, können sich Verbraucher an diese vier Schritte halten:

  1. Fehler in Widerrufsbelehrung aufdecken
    Verbraucher müssen den Fehler, der sie zu einem Widerruf der Lebensversicherung berechtigen könnte, aufdecken. Das kann eine grundsätzlich fehlerhafte oder rechtlich unzureichend formulierte Widerrufsbelehrung sein. 
  2. Widerruf der Lebensversicherung berechnen
    Um zu überprüfen, ob sich ein Widerruf lohnt, müssen Verbraucher ihre Lebensversicherung durchrechnen. Dabei müssen sie auch alle zusätzlichen Sicherheiten wie eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit einbeziehen.
  3. Widerspruch erklären
    Ist jetzt klar, dass der Widerruf rechtlich und finanziell vielversprechend ist, müssen Verbraucher ihrem Vertrag widersprechen.
  4. Versicherungsexperten einschalten
    Viele Versicherungen lehnen einen Widerruf von Lebensversicherungen ab. Verbraucher sollten dann einen Versicherungsexperten einschalten, der den Fall prüft und die nächsten Schritte in die Hand nimmt. Sie haben dann gute Chancen, ihren Vertrag rückabzuwickeln - und das Geld zurückzubekommen.

Fazit: Lebensversicherung verkaufen: Was empfehlen Versicherungsexperten?

Die Verbraucherzentrale und Expertinnen und Experten sind sich einig: Wer eine Lebensversicherung besitzt, sollte zunächst prüfen lassen, ob der laufende Vertrag noch rentabel ist. Die Prüfung sollte möglichst durch eine unabhängige Stelle erfolgen. Ist der Vertrag nicht mehr rental, müssen Verbraucher entscheiden, ob ein Verkauf oder ein Widerruf der Lebensversicherung lukrativer ist.

Soforthilfe zu allen Rechtsfragen erhalten Verbraucher beispielsweise im SIEGFRIED CLUB: Nach der kostenlosen Anmeldung erhalten sie direkt Zugriff auf ein Netzwerk an erfahrenen Experten zu allen Rechtsfragen sowie auf Online-Checks und rechtssichere Vorlagen.

Person hält Versicherungsunterlagen in der Hand.
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Rechtsanwalt Raffael Sauer

Juristische Prüfung durch Rechtsanwalt Raffael Sauer
Dieser Beitrag wurde mit großer Sorgfalt von der SIEGFRIED-Redaktion erstellt und von Raffael Sauer juristisch geprüft. Sauer ist Rechtsanwalt bei der ProRights Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Das Arbeitsrecht gehört dabei zu seinen Fachgebieten, in denen er Mandanten erfolgreich vertritt.

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